DIE KEHRSEITE DER FOTOGRAFIE

Das Fotogramm als experimentelles Bild zwischen Fotografie und Bildender Kunst

Die Technik des Fotogramms, so wenig geläufig der Begriff den meisten von uns ist, kann man als die Urform der Fotografie ansehen. Mit gewöhnlicher Fotografie hat das Fotogramm nicht mehr gemein als mit der Fotosynthese der Natur. Zwar entsteht ein Fotogramm ebenso wie ein fotografisches Abbild durch Licht, allerdings in direkter Einwirkung.

Fotogramme sind fotografische Bilder, die ohne Kamera oder Linse erzeugt werden. Sie sind im Tonwert umgekehrte Abbildungen, "Berührungsbilder" oder "Schattenbilder" von meist dreidimensionalen Dingen auf fotografischem Material. In der Dunkelkammer liegen die Gegenstände, Glasplatten oder Folien direkt auf dem Fotopapier. Hier werden sie von Hand zum späteren Bild arrangiert. Mit der Belichtung bilden sich diese Gegenstände als Schatten ihrer selbst ab: als unbelichtete Stelle auf dem ringsum belichteten Fotopapier.

In ihrer natürlichen Größe und immer als Unikat!

Belichtet man Fotopapier, wird es nach der Entwicklung schwarz. Liegt ein Objekt dicht auf dem Papier, bleiben die Stellen, die vom Objekt bedeckt werden, weiß. Nur an den Stellen, an denen sich das Objekt vom Papier abhebt, entstehen Zwischenformen. Feinste Lichtabstufungen von reinstem Weiß bis zu tiefstem Schwarz. Ein Fotogramm ist die Darstellung von Dingen aus der Sicht des Fotopapiers. Licht wird jedoch nicht nur durch die, zwischen Lichtquelle und Fotopapier befindlichen Objekte abgehalten, sondern es reflektiert auch von ihnen. Durch Reflexion am Objekt werden Lichtformen und Lichtspuren ebenso sichtbar, wie durch Abschattierung seine Schattenformen.

Eine besondere Rolle kommt also schließlich beim Fotogramm dem Distanzverhältnis von Objekt und lichtempfindlichem Material zu. Gerade die potentielle Berührung und das umgekehrte Distanzverhältnis, welches das Nahegelegene schärfer als das Entfernte wiedergibt, konstituiert einen fundamentalen Unterschied zur Fotographie. Aus eben diesen verfahrenstechnischen Gründen bezeichnet man das Fotogramm auch als post-fotographisch, um den damit einhergehenden Bruch mit dem fotographischen Repräsentationsmodus der Zentralperspektive zu unterstreichen und die Komplementarität des Fotogramms zu anderen post-fotographischen, computerbasierten Verfahren zu betonen.

Es gibt zahlreiche Abweichungen, Variationen und Erfindungen rund um diesen Bildherstellungsprozess.
Das Fotogramm als experimentelles Bild zwischen Fotografie und Bildender Kunst übt seit seiner Erfindung eine Faszination auf Maler, Filmer, Fotografen aus. Der direkte Umgang mit dem bildherstellenden Vorgang und die auf Hell/Dunkel reduzierte Erscheinungsweise ließen es zu einem weiten Feld für innovative Lösungen im fotografischen Prozess für Künstler aller Generationen werden. Die unmittelbar spürbare Gleichzeitigkeit des anwesenden und abgebildeten Gegenstandes bzw. Vorganges macht den spezifischen Charakter von kameralos generierten Bildwerken aus.